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Dieter Messner (Salzburg)

Zur Situation der Lusitanistik in Österreich

 

Als eigene Studienrichtung existiert die Lusitanistik in Österreich nur an zwei geisteswissenschaftlichen Fakultäten: kontinuierlich an der Universität Salzburg, wo man sich nach einer Universitätsreform Ende der siebziger Jahre, die die traditionelle Romanische Philologie in einzelne Studienrichtungen zerteilte, mit Erfolg dagegen gewehrt hatte, Portugiesisch gänzlich abzuschaffen (an der Universität Wien, an der einst Joseph Huber tätig war, hatte man damals unverständlicherweise auf dieses «Kernfach der Romanistik», wie es Dietrich Briesemeister kürzlich bezeichnete, verzichtet).

An der Universität Innsbruck wurde nach der angesprochenen Universitätsreform auch Portugiesisch als Studienrichtung eingerichtet, obwohl man sie gar nicht haben wollte, sondern Spanisch. Es gab aber dort nie ein vollständiges Angebot an Lehrveranstaltungen, und vielleicht ist dies der Grund dafür, daß 1994 diese Studienrichtung von Innsbruck an die Universität Wien transferiert worden ist. An einigen anderen Universitäten sind wenigstens Sprachkurse vorhanden, ebenso an diversen außeruniversitären Institutionen (Sprachschulen, etc.).

Insgesamt gesehen nimmt also die Lusitanistik keine besondere Stellung innerhalb der österreichischen Romanistik ein, im Gegensatz zu den sogenannten «größeren» Sprachen wie Spanisch, Französisch und Italienisch, für deren Absolventen auch bessere Berufsaussichten bestehen bzw. bis vor einiger Zeit bestanden haben: Diese drei Sprachen sind nämlich auch Unterrichtsfächer an allgemeinbildenden und berufsbildenden Höheren Schulen. Allerdings hat sich die Lage in den letzten fünf Jahren rapide verschlechtert: Eine Statistik über das Durchschnittsalter von Lehrern der genannten Schulen gibt 38 Jahre an, so daß kaum Posten frei werden, und in den nächsten zwanzig Jahren wohl kein Bedarf an Nachwuchs vorhanden sein wird. Für Absolventen des Portugiesischstudiums (und eines verpflichtenden Zweitfachs) sind die Stellenangebote hingegen verschwindend gering (vgl. Perl / Messner 1996).

Das Interesse am Studium des Portugiesischen, das hierorts über mehr als dreißig Jahre lang verfolgt werden kann, schwankt relativ stark in etwa dreijährigen Zyklen. Am stärksten war der Andrang am Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre. Damals war das Interesse an der Dritten Welt ziemlich groß, und neben Spanisch profitierte wegen Brasilien auch das Portugiesische davon. Eine so hohe Zahl von Anfängern, fast einhundert, hat es danach in Salzburg, das keine Großstadt ist und dessen Umfeld eher ländlich geprägt ist, nicht wieder gegeben. Untersucht man jetzt die Fächerkombinationen der Studenten, die Portugiesisch gewählt haben, so sind es einerseits erkennbar am Beruf orientierte Gründe (z. B. Politikwissenschaft, Publizistik, Theologie etc.), andererseits gibt es aber auch Fächer, die überhaupt keine Berufsausssichten haben (wie Russisch oder andere, sogenannte «Orchideenfächer», etc.). Ein gar nicht so geringer Anteil der Studenten beginnt das Portugiesischstudium übrigens nicht sofort nach der Matura, sondern manchmal nach einigen Jahren Berufstätigkeit, auch im Ausland. Diese Fakten lassen überlegenswert scheinen, eine zu starke Einbeziehung der Lusitanistik in die traditionelle Struktur des Gesamtfaches «Romanische Philologie» (in der klassischen Form als einer diachron-komparatistischen Disziplin) neu zu diskutieren. Die vorhin genannten Fächerkombinationen müssen eben auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Vorbildung, die die Studenten mitbringen, gesehen werden: das Fehlen von Lateinkenntnissen, ungenügende bis keine Sprachkompetenz im Französischen, daraus resultierend, bzw. dem kausal vorhergehend, Desinteresse an historischen und komparatistischen Fragestellungen.

Diese Tatsachen führen natürlicherweise auch zur Überlegung, solchen potentiellen Studenten überhaupt abzuraten, ein philologisches Studium «Portugiesisch» zu wählen. Akzeptiert man aber diese angeführten Voraussetzungen der Studenten, dann müßte man einen neuen Studienplan entwickeln, was allerdings in Österreich im Augenblick noch schwierig ist, da dieser traditionellerweise immer für die gesamte Romanistik gültig ist, und die Vertreter der Lusitanistik schon durch die numerische Unterlegenheit gegenüber den Vertretern des Französischen und Italienischen sich kaum für Neuerungen durchsetzen können. Erst mit einem sogenannten UOG (Universitätsorganisationsgesetz) von 1993, das in Salzburg 1998 umgesetzt wird, können in einem neuen Studienplan sogenannte «Module» auch aus eher praktischen Fächern gewählt werden. Auch werden endlich solche «Module», die eine bestimmte Mindeststundenanzahl umfassen, den Erwerb eines Abschlußzeugnisses zum Nachweis einer Zusatzqualifikation eines anderen Studiums ermöglichen und vielleicht die «kleineren» Sprachen attraktiver machen, als dies bisher im Regelstudium üblich war.

In diesem Zusammenhang entstehen übrigens wieder Disparitäten, die den bisher verlangten Nachweis obligater Lateinkenntnisse als Voraussetzung für das Romanistikstudium in Frage stellen. Schon jetzt haben nämlich die meisten Studienanfänger keine Lateinkenntnisse. Sie müssen diese in einem relativ zeitaufwendigen, ganzjährigen Kurs mit sechs Semesterwochenstunden erwerben; doch diese an der Universität erworbenen Kenntnisse sind - um ernsthaft Wissenschaft betreiben zu können - für jede tiefgehende Forschungsarbeit in der historischen oder vergleichenden Perspektive unzureichend, es sei denn, es liegt ein sehr großes persönliches Interesse der Studierenden vor.

Wegen der fehlenden Lateinkenntnisse war es übrigens nötig, die Inhalte der Lehrveranstaltungen entsprechend zu ändern, um dem größeren Erklärungsbedarf zu entsprechen: Man denke nur an die klassischen Literaturen, zu deren akademischen Verständnis natürlich Kenntnisse der Antike nötig sind. Wenn jetzt aber jemand ein Hauptfach, für das er nicht Latein braucht, wählt, und Portugiesisch als Zweitfach, dann ist er von der Verpflichtung, Lateinkenntnisse nachzuweisen, befreit.

Diese vorhin angesprochene Unterlegenheit - auf allen Ebenen, von der geringeren Studentenzahl angefangen, den wenigen Mitarbeitern, bis zum meist einzigen Lehrstuhlinhaber, der auch in der Hispanistik tätig sein muß, - hat sicher auch dazu geführt, daß man an vielen Universitäten selten komplette Angebote von Lehrveranstaltungen findet, die sich exklusiv an Lusitanisten richten. In Salzburg ist dies aufgrund einer jahrzehntelangen Tradition bisher immer möglich gewesen, auch wenn in Zukunft in «schwachen» Jahrgängen die Gefahr besteht, durch die neuerdings vorgeschriebene Mindestteilnehmerzahl die Lehrveranstaltung streichen zu müssen. An anderen Universitäten werden unter Portugiesisch meist nur fächerübergreifende Lehrveranstaltungen angeboten: im Vorlesungsverzeichnis z. B. der Universität Wien für das Sommersemester 1998 lese ich: «Romanische Sprachwissenschaft und Psychoanalyse»; «Das lange europäische Jahrhundert»; «Literaturwiss. Seminar für Italianisten und Lusitanisten», etc. (vgl. Pöll 1998, der eine aktuelle Aufstellung für Österreich gibt).

Eines der Argumente, das im Zusammenhang mit der Herauslösung der Lusitanistik aus dem ehrwürdigen, traditionellen - und deutschen - Fach «Romanische Philologie» vorgebracht wird, lautet, daß dadurch die «Wissenschaftlichkeit» verloren gehe. Dieser Einwand gilt aber nur dann, wenn man das Portugiesischstudium ausschließlich als wissenschaftliche Tätigkeit ansieht, und nicht als Vor- bzw. Nachbereitung eines Berufes: Unter meinen Studenten befinden sich auch Personen, die gar nicht mehr so jung sind und die z. B. als Entwicklungshelfer (meist zur Fortbildung in Handwerken) längere Zeit in portugiesischsprechenden Ländern tätig waren und nach ihrer Rückkehr (vielleicht auch aus falsch verstandenem Stolz) glauben, studieren zu müssen. Durch eine spezielle Eingangsprüfung ist ihnen dies sogar ohne Nachweis der Matura möglich.

Andererseits kann ein Universitätsstudium, auch nicht das der Lusitanistik, nicht ausschließlich auf Berufsvorbereitung ausgerichtet sein, solange es keine anderen wissenschaftlichen Institutionen gibt, die sich gezielt der Forschung widmen. Der Komplexität der Romanischen Philologie als einer «deutschen» Wissenschaft verdankt unsere Disziplin überhaupt ihren Stellenwert: Allein das komparatistische Element hat neue Horizonte eröffnet, wie sie sonst monoglotte Muttersprachler gar nicht erahnen können. Wer an lusitanistischen Großkongressen teilnimmt, sei es im Bereich der Literaturwissenschaft, sei es im Bereich der Sprachwissenschaft, wird die Dürftigkeit so manchen Beitrags eines ausschließlich muttersprachlichen monoglotten Wissenschafters nicht übersehen.

Dazu aus meinem engeren Forschungsbereich einige Beispiele: Das Wörterbuch der portugiesischen Akademie, genauer gesagt der einzige Band mit A-, der 1793 erschienen ist, wurde 1993 wieder aufgelegt und von monoglotten muttersprachlichen Fachleuten wie folgt charakterisiert: «[…] o Dicionário da Academia é ainda hoje um modelo de técnica lexicográfica, elaborada com o maior rigor científico […]» (Casteleiro 1981: 48); «O Dicionário da Academia dá testemunho de um saber lexicográfico moderno, apoiado em boa reflexão teórica […]» (Verdelho 1994: 677); «[…] é obra de grande alcance filológico […]» (Sabio 1996: 165).

Keiner meiner geschätzten Kollegen ist je auf die Idee gekommen, die eigenen Behauptungen empirisch abzusichern, sonst hätten sie erkennen müssen, daß die damaligen Lexikographen nicht selten sowohl aus dem Diccionario de la lengua castellana von 1780 wie aus aus der Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné […] von 1752 ff. recht unverschämt übersetzt hatten. Ob ein ausschließlich lusitanistisch tätiger Kollege, sei er Portugiese oder Deutscher, überhaupt auf die Idee gekommen wäre, über den Zaun seines Faches hinüber in Nachbars Garten zu schauen? Übrigens fällt auch vermutlich einem Nur-Hispanisten nicht ein, dasselbe zu tun: M. Alvar Ezquerra hat ein Wörterbuch aus den Jahren 1786-1793 neu herausgegeben, weil es: «[…] nunca [fue] apreciada en su justa medida, ni con el respeto que merece […]» (Terreros 1987: 6). Tatsache ist, daß so manche Zeile darinnen auch aus französischen Quellen abgeschrieben worden ist.

Ich frage mich bei literaturwissenschaftlichen Vorträgen, z. B. über Saramagos Buch O Evangelho segundo Jesus Christo , oft schon im vorhinein, welche Ignoranz an Bibelwissen zu Tage kommen mag, und stelle nachher meist betrübt fest, daß dem bzw. der Vortragenden nicht einmal der Gedanke gekommen ist, geschweige denn der Wille vorhanden war, in dem Originaltext nachzuschlagen, den Saramago persifliert.

Wie können wir also aus der Schere herauskommen, die zwischen der bestimmten Studenten und deren vermutetem Berufsfeld zugedachten Ausbildung und den hohen Anforderungen eines wissenschaftlichen Faches entstanden ist?

Konkret sehe ich hier bereits die Weichen gestellt: Berufsbezogene Ausbildung wird in Österreich immer häufiger (und vielleicht sogar effizienter) an den zahlreichen, neu entstehenden Fachhochschulen angeboten. Wissenschaftliche Forschung hingegen, «l'art pour l'art» sozusagen, wird zumindest bei den Geisteswissenschaften wohl an den Universitäten bleiben. Ob allerdings je für solche Orchideenfächer wie Portugiesisch irgendwo ein praxisorientierter außeruniversitärer Lehrgang zustande kommen wird, ist stark anzuzweifeln. Was wiederum heißt, daß wir weiterhin in dem Dilemma stecken bleiben, das wir heute schon haben, und das ich oben dargelegt habe.

Kommen wir noch einmal zur spezifischen Situation Österreichs zurück. Größere Forschungsprojekte laufen meines Wissens eigentlich nur an der Universität Salzburg, sieht man von einer Wiener Untersuchung der lusoafrikanischen Literatur ab. Ein Kollokationswörterbuch ist im Entstehen, ein frauenspezifisches Projekt zur Literatur Brasiliens hat begonnen, über Kreolsprachen wird geforscht, und zwei größere Projekte, die erst nach internationaler Evaluierung die nötige Finanzierung erhielten, schreiten gut voran:

 

1. Dicionário dos dicionários portugueses: Seit 1994 wurden in der Printversion 10 Bände mit im Schnitt 600 Seiten veröffentlicht.

2.Corpus da Gaceta de Lisboa: Noch wird an der Vergrößerung des Corpus gearbeitet, mit dessen Hilfe die kümmerlichen Studien des modernen Portugiesisch ergänzt werden sollen (vgl. Castro 1991, der in seiner Geschichte der portugiesischen Sprache ca. 100 Seiten unter dem Titel «Do Latim ao Português antigo» geschrieben hat, aber nur zehn zum «Português clássico» und keine für die Jahrhunderte danach).

 

Diesen Projekten wird international große Aufmerksamnkeit geschenkt, und eine Reihe von internationalen Kooperationen ist entstanden.

 

Bibliographie

 

Casteleiro, João Malaca (1981): «Estudo do 1° Dicionário da Academia», in: Memórias da Academia das Ciências de Lisboa 22, S. 47-63.

Castro, Ivo (1991): Curso de história da língua portuguesa, Lisboa: Universidade Aberta.

Perl, Matthias / Messner, Dieter (1996): «Diskussionsrunde zu Arbeitsmarktschancen von Portugiesischabsolventen in Österreich und Deutschland», in: Lusorama 31 (Oktober), S. 135-136.

Pöll, Bernhard (1998): «Lusitanistik an österreichischen Universitäten», in: Mitteilungen des Deutschen Lusitanistenverbandes 10 (Juli), S. 40-42.

Sabio Pinilla, J. A. (1996): «A etimologia nos dicionários portugueses», in: Actas XI Encontro APL, Bd. 2, Lisboa: ohne Verlag, S. 159-172.

Terreros y Pando, Esteban de (1987): Diccionario castellano con las voces de ciencias y artes, Madrid: Viuda de Ibarra, 1786-1793, edición facsímil, presentación por Manuel Alvar Ezquerra, Madrid: Arco-Iris.

Verdelho, Telmo (1994): «Portugiesisch: Lexikographie», in: Holtus, Günther / Metzeltin, Michael / Schmitt, Christian (Hrsg.) (1994): Lexikon der Romanistischen Linguistik, Bd. 6, 2, Tübingen: Niemeyer, S. 673-692.

 

Erstveröffentlichung in: Dietrich Briesemeister / Axel Schönberger (Hrsg.): Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven der deutschsprachigen Lusitanistik:

Standpunkte und Thesen , Frankfurt am Main: TFM, 1998, S. 213-220.

 

 

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